Mal digital! Ein Modell zur digitalen Kunstvermittlung

2017-09-20 18.13.12Ja, der Vermittlungsauftrag im Museum wird mehr und mehr ernst genommen – und ja, die Kunstvermittlung bekommt zunehmend Aufmerksamkeit – und zuletzt ja, die digitalen Medien kommen vermehrt in der Kunst- und Kulturvermittlung zum Einsatz. All dies sind natürlich erfreuliche und zukunftsweisende Entwicklungen – und doch bleibt noch viel zu tun!

Natürlich wird zwar immer wieder über Einzelprojekte berichtet, die Einblicke geben und höchst interessant sind. So können zum Beispiel unterschiedliche Methoden und Vermittlungsformate auf dem Blog des Museumstags vorgestellt. Hier bekommt man Inspiration, allerdings lässt sich daraus noch nicht so leicht ein digitales Vermittlungsprogramm stricken. Ein paar Beispiele für digitale Vermittlungsprogramme, Multimediastationen oder Apps findet man auch immer wieder auf verschiedenen Blogs oder Websites, beispielsweise bei den Museumsperlen.
Kriterien an eine gute App und Paradebeispiele stellt Christian Gries in seinem Blog vor und legt damit bereits Grundsteine für ein fundiertes Vorgehen. Und Tanja Praske beispielsweise erläutert auf ihrem Blog, wie das Projektmanagement beim Erstellen einer App für Museen oder Kulturinstitutionen aussehen kann.  Über Vor- und Nachteile von Apps zur Vermittlungsarbeit im Museum wurde bereits viel geschrieben, daher möchte ich an dieser Stelle darauf verzichten, genauer darauf einzugehen.

Gut man sieht also, es passiert viel und trotzdem bleiben viele Fragezeichen, wenn digitale Kunstvermittlung konkret wird. Denn der fachwissenschaftliche Kanon lautet, dass diese Art der Vermittlung durchaus diverse Vorteile erzielen kann, allerdings sinnvoll medienpädagogisch und fachwissenschaftlich fundiert werden muss. Doch woher soll diese Fundierung kommen, wenn gegenwärtig digitale Medien zwar eingesetzt, allerdings noch keine übergreifenden Modelle und Erkenntnisse entwickelt sind? Deswegen möchte ich hier kurz meine Überlegungen vorstellen. Damit beziehe ich mich auch auf den Aufruf von Anke von Heyl. Sie hat dazu ermuntert, „dass man solche Ansätze dringend mehr nach außen kommuniziert. […]. Und ich freue mich über jeden weiteren Hinweis hier in den Kommentaren darüber, was ich alles übersehen habe. Oder wenn noch andere Projekte in Planung sind: bitte gerne auch davon berichten.“
Und dieser Meinung stimme ich absolut zu – das Teilen von Ideen, Konzepten und Ansätzen bringt hoffentlich mehr Systematik und einen fruchtbaren Austausch unter Kunstvermittlern.

Okay, aber erst mal von vorne. Worum geht´s hier?

Was mich interessiert, sind systematische Erkenntnisse zur digitalen Kunstvermittlung- konkreter geht es um Kinder im Museum. Somit sind erste Rahmenbedingungen, die Zielgruppe und das Museum, geklärt. Also möchte ich für ein Münchner Kunstmuseum, basierend auf fachwissenschaftlichen Vorüberlegungen, ein digitales Vermittlungsprogramm zur musealen Kunstvermittlung entwickeln. Und dieses Programm (vermutlich eine App als Multimedia-Guide) möchte ich dann hinsichtlich des Outputs Erforschen. Was ich mir daraus erhoffe? Einen Beitrag zu leisten, so dass schrittweise in Zukunft Wissen darüber besteht, wie sich digitale Vermittlungsprogramme auswirken und darauf beim Konzipieren solcher Programme zurückgegriffen werden kann.

Aber nun konkret. In Anschluss an mein Lehramtsstudium habe ich irgendwann pädagogische Modelle zu schätzen gelernt und nutze sie nun selbst. Daher habe ich für mich zur Veranschaulichung ein Modell erstellt, das ich hier kurz beschreiben möchte.

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Ein pädagogisches Modell für ein Programm zur digitalen Kunstvermittlung

Natürlich ist das Modell auf meine Zwecke ausgerichtet, also auf eine digitale, kunstpädagogische Vermittlung an Kinder im Museum. Verfolgt wird dabei ein Ansatz, der individuelle Sicht- und Zugangsweisen der Rezipienten bzw. Besucher zur Kunst zulässt, kunsthistorische Bildungsansprüche einbezieht und zugleich die Originale in ihrem authentischen Eigenwert belässt. In meinem Fall soll das Programm selbst die Kinder durch die Ausstellung führen – dies beinhaltet nicht die Annahme, dass digitale Vermittlungsprogramme besser als Führungen durch einen Menschen sind oder diese ersetzen können bzw. sollten.

Aber natürlich muss ein solches geführte Vermittlungsprogramm überlegt aufgebaut werden. Also habe ich es zunächst in die drei grundlegenden Phasen Einleitung, Hauptteil, Schluss eingeteilt.
In der einleitenden Phase geht es zunächst darum, die Zielgruppe ankommen zu lassen und eine Orientierung zu bieten. Umgesetzt werden kann dies beispielsweise durch ein Video oder eine animierte Figur, die den Besucher persönlich adressiert und einleitende Worte spricht. Hier ist es sinnvoll, das Ziel und Vorgehen des Vermittlungsprogramms anzusprechen. Anschließend sollte eine Orientierung im Haus (Unterstützt durch Grafiken, Bilder etc.) und hinsichtlich der Funktionsweisen des Programms geschehen. Dabei sollten beispielsweise der Aufbau und die Icons des Programms kurz erklärt werden.
Im darauffolgenden Hauptteil wird dann vertieft inhaltlich eingestiegen. Bevor dies geschieht, sollte zum Einstieg allerdings eine niedrigschwellige Ebene eingeschoben werden. Dies dient der Motivierung, der Anregung der intensiven Wahrnehmung und der Aktivierung des Vorwissens (welches nach lernpsychologischen Forschungen eins der wichtigsten Elemente für den Lernerfolg darstellt). Dazu sollte der thematische Rahmen grob skizziert werden und eine einfache Aufgabe, zB. ein Suchauftrag, könnte gestellt werden.
Der Hauptteil ist grob nach den drei Lernbereichen der Bloomschen Taxonomie aufgeteilt, welche in den Erziehungswissenschaften etabliert ist. Demnach gibt es den kognitiven, psychomotorischen und den affektiven Bereich.  (Für Hintergrundinformationen und Erläuterungen dazu empfehle ich diesen Link http://www.stangl.eu/psychologie/praesentation/lernziele.shtml) Die Lernbereiche habe ich mit kunstpädagogischen und museumswissenschaftlichen Überlegungen ergänzt. So sollten sich kognitive Elemente mit künstlerisch-psychomotorischen und ganzheitlichen, partizipativen und affektiven Elementen abwechseln. Damit geschieht eine Rhythmisierung, vielfältige Umgangsweisen und ein Ansprechen unterschiedlicher Lerntypen.

Die Ziele der Lernbereiche werden jeweils unter der Bezeichnung in der senkrechten Spalte Ziele genannt. Eine mögliche methodische Umsetzung oder genauere Beschreibung oder Begründung wird daneben genannt. Im kognitiven Bereich geht es also um das Deuten, Interpretieren und Verstehen von Kontexten. Dabei soll kunstgeschichtlicher Input gegeben werden sowie Analysemethoden und Ansätze vorgestellt werden. Dies kann mit Audio, Video. Text- und Bildmaterial und Aufgaben umgesetzt werden. Wichtig ist hierbei auch Interaktivität einzubauen und eine Differenzierung, also unterschiedlich schwierige Niveaus oder Möglichkeiten zur Vertiefung, anzubieten.
Der künstlerisch-psychomotorische Bereich unterstützt die Förderung der ästhetischen Erfahrung in der Auseinandersetzung mit den Kunstwerken. Zudem kann durch das eigene künstlerische Schaffen ein Verständnis für künstlerische Umgangsweisen unterstützt werden. Dies geschieht u.a. im Malen und Zeichnen, beispielsweise, wenn mit Grundformen und abstrakten Kompositionen experimentiert wird.
Individuelle Zugänge, Kommunikation und Partizipation werden im letzten Lernbereich gefördert. Dabei werden bewusst individuelle Sichtweisen angeregt, welche in Beiträgen eingebracht werden können. Somit entsteht auch ein kommunikativer Charakter des Programms. Zudem werden hier auch bewusst Emotionen und alle Sinne angesprochen und aktiviert. Dies kann mit bewussten Impulsen, Aufgaben oder Vermittlungsmaterial (Bild, Text,…) geschehen.
Abschließend sollte natürlich ein Abschluss des Vermittlungsprogramms geschehen. Dies kann je nach Intention und Zielgruppe des Programms noch eine Ergebnissicherung, ein Fazit, ein Feedback etc. beinhalten. Vor der Verabschiedung sollte definitiv noch eine Würdigung der Teilnahme geschehen.

Alle genannten Elemente sind natürlich in abgewandelter Form analog umsetzbar – durch die digitale Technik ergibt sich allerdings der Vorteil der Interaktivität, der Personalisierung und des künstlerischen Tuns, beispielsweise am Tablet.
Personalisierung und Differenzierung entsprechen einem wichtigen didaktischen Grundsatz, dem individuellem Fördern, das als Merkmal guten Unterrichts gesehen wird und somit das Lernen unterstützt. Nach Olaf-Axel Burow stellt die Personalisierung eines der größten Lernpotentiale digitaler Medien dar (Vgl.  Olaf-Axel Burow: Digitale Dividende. Ein pädagogisches Update für mehr Lernfreude und Kreativität in der Schule, 2014). Zudem konnte das IWM (Leibniz-Institut für Wissensmedien) bereits herausfinden, dass mobile digitale Anwendungen den Betrachter in der Bilderfassung und beim Verstehen von Zusammenhängen unterstützen können. Somit ist ein Einsatz digitaler Medien aus psychologischer und pädagogischer Sicht sinnvoll.
Das künstlerische Gestalten am Bildschirm weist selbstverständlich andere Strukturen als das analoge Malen oder Zeichnen auf. Trotz einer fehlenden Haptik konnte bereits durch Anja Mohr bewiesen werden, dass ästhetische Erfahrungen ebenso beim Gestalten mit computergestützten Anwendungen gemacht werden können. Zudem werden die Handlungsweisen de facto erweitert, denn durch Funktionen digitaler Programme wie Speichern oder Rückgängigmachen wird ein experimentelles, prozessorientiertes Gestalten gefördert. (Vgl. Mohr, Anja: Digitale Kinderzeichnung: Aspekte ästhetischen Verhaltens von Grundschulkindern am Computer, 2005) Somit sollte das digitale Malen und Gestalten nicht als defizitär gesehen werden, sondern als Chance der künstlerischen Annäherung direkt vor dem Original.

Zuletzt möchte ich nochmal anmerken, dass in diesem Konzept eine Auseinandersetzung des Betrachters mit dem Original unterstützt werden und keineswegs die Technik den Blick auf das Original verstellen soll.
Ich freue mich über Anregungen, Fragen, konstruktive Kritik und Feedback zu meinen Überlegungen.


7 Gedanken zu “Mal digital! Ein Modell zur digitalen Kunstvermittlung

  1. Liebe Anja,

    danke dir sehr für die Einblicke in deine Forschungen. Da muss dringend mehr Diskurs stattfinden, ein Anfang ist gemacht. Wie du ja weißt, unterscheide ich zwischen digitaler Kunstvermittlung und Kunstvermittlung im digitalen Raum. Dein Ansatz klingt spannend, vor allem hinsichtlich der Festlegung von gut durchdachten Schritten und pädagogischen Zielsetzungen. Es ist noch in der Planung, oder? Die App gibt es noch nicht, richtig? Ich begrüße jedes Experiment in diesem Zusammenhang!
    Ich müsste mich da jetzt noch ein bisschen mehr damit befassen, aber bei entstand spontan der Eindruck, dass sehr viel vorgegeben wird. Und Wissen zugefüttert. Da habe ich persönlich eine andere Haltung. Mein Schwerpunkt liegt auf Methoden, die das Eigene stärken und Möglichkeiten bieten, individuelle Zugänge zu gestalten. Das sind die Wege, die ich sehr spannend finde. Aber vielleicht hast du da auch schon Schwerpunkte gesetzt und ich habe das nicht so richtig gesehen. Lass uns gerne weiter im Austausch bleiben. Ich bin sehr gespannt, wie es weiter entwickelt wird. Halte uns auf dem Laufenden.

    Herzlichst
    Anke

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  2. Liebe Anke,

    danke für deine Gedanken! Genau, das Ganze ist in Planung und noch nicht entstanden, Davor gibt es auch Beteiligung von Kindern- im Zuge einer Lehrveranstaltung an der LMU, die ich im Wintersemester durchführen werde. Da berichte ich demnächst auch dazu und bin schon total gespannt, was von den Kindern für Ideen kommen.

    Hast du einen Link für mich, wo der Unterschied zwischen digitaler Kunstvermittlung und Kunstvermittlung im digitalen Raum genauer beschrieben wird? Hatte auf Twitter mal nachgefragt und dann aber leider nicht so viel dazu gefunden. Ich freue mich, wenn du mich aufklärst!

    Ich verstehe, was du meinst. Die Balance zwischen „Input“ und Führung mit individueller Auseinandersetzung muss ich dann in der konkreten Umsetzung finden. Durch die beiden Lernbereiche (künstlerisch, psychomotorisch – ganzheitlich, partizipativ, affektik) versuche ich, individuelle Zugänge ganz bewusst zu fördern. Unterfüttert werden soll es dann mit Wissen- das aber auch je nach Lust vertieft werden kann und auf der allgemeinen Ebene wohl nicht so intensiv sein wird. Das Programm soll ja auch Kinder ca. von 8-12 Jahren ansprechen. Damit sich das aber nicht in willkürlichem Spielen verliert finde ich die Zuführung von Hintergrundinformationen schon wichtig.Teilweise ist aber auch auf der kognitiven Ebene ein individueller Zugang möglich- z.B. durch individuelles Auswählen oder Ergänzen von Wörtern zur Beschreibung eines Werks.

    Ich freu mich immer über deine wertvolle Meinung und allgemein Tipps und Hinweise!
    Liebe Grüße
    Anja

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  3. Hallo Anja,
    wir haben gemeinsam mit der FH Potsdam und drei Bibliotheken eine App entwickelt, mit der die Bibliotheken selbständig unterhaltsame Bibliotheksführungen anlegen können.
    Die App für die erste Bibliothek wird am 10.10.2017 mit Grund- und Oberschülern getestet. Zwei Studentengruppen haben jeweils eine Tour entwickelt.
    Die App hat eine Vielzahl von Möglichkeiten: GPS-Ortung, Beacons, QR-Codes, Bilderkennung, Bilder, Videos, Audio, Multiple-Choice-Fragen, kleine interaktive javascriptbasierte Spiel, Augmented Reality, Virtual Reality.
    Über ein komfortables Content Management System können die Inhalte gepflegt werden.
    Dieses System eignet sich genau so gut für Kultureinrichtungen.
    Gerne beziehen wir Dich ein in die Kommunikation, damit Du siehst, wie das Projekt verläuft.
    Vielleicht ist es ja genau das, was Du suchst.
    Viele Grüße
    Martin

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